Dass sich der kritische Gehalt einer Demonstration nicht proportional zur Masse der anwesenden Demonstranten verhält, dürfte nicht erst seit den linksdeutschen Massenaufmärschen in Dresden, den „breiten Bündnissen“ für den Kiezfrieden in Hamburg oder den jährlichen Gedenk- und Mahndemonstrationen, die die deutsche Linke in fast jeder größeren Stadt zu bieten hat, bekannt sein. Dass sich, umgekehrt, die Anzahl der Teilnehmer an einer Demonstration reziprok zu ihrem kritischen Gehalt verhält, ist deswegen allerdings nicht unbedingt richtiger. (Der Besuch einer der auch im Jahre 2010 noch stattfindenden „Montagsdemonstrationen“, zu denen sich in Halle die MLPD mit vier bis sechs revolutionären Mitstreitern auf dem „unteren Boulevard“ zusammenfindet, sollte als Beispiel ausreichen.) Zu wenigen Gelegenheiten aber braucht es nur 40 Personen, um für zwei Monate zur Hauptbeschäftigung einer kleinen öden Stadt in Sachsen-Anhalt zu werden. Im Januar dieses Jahres fand ein „ideologiekritischer Aktionstag in und gegen Köthen“ statt, der die Widerwärtigkeiten des Lebens in der (ost-)deutschen Provinz thematisierte. Hier traf offensichtlich die dort dargebrachte Kritik – wovon sich der geneigte Leser u. a. in der letzten Ausgabe der Bonjour Tristesse, auf der Website der Veranstalter (actionday.blogsport.de) oder, wer der Feldforschung nicht abgeneigt ist, mit einem Ausflug in jene kleine öde Stadt – auf ihre empirischen Beweise: Die Bürger von Köthen.
Die „Mitteldeutsche Zeitung“ (MZ), nicht nur in Köthen Sprachrohr des gesunden Menschenverstandes, widmete in den folgenden Monaten gleich mehrere längere Artikel nicht nur dem Anliegen der Demonstranten (vielen Dank dafür!), sondern vor allem den „unaufgeklärten, ewig gestrigen Köthener Bürgern“, die von der Lokalredaktion aufgefordert wurden, ihre Meinung über das „hässliche und trostlose“ Köthen kundzutun. Und da man auch in der MZ-Redaktion weiß, dass Kritik konstruktiv zu sein habe, wurden vier Fragen an die Leser formuliert, die nicht nur nach dem Wahrheitsgehalt der auf der Demonstration geäußerten Kritik fragte, sondern aufforderten, Möglichkeiten der Behebung auftretender Missstände zu benennen. So gab es also keine unverhohlenen Lynchaufrufe, sondern dezente Hinweise auf die Herkunft der Demonstranten („Sind alle Köthener? Wie sonst kann ich mir anmaßen, über eine Stadt und deren Zustände zu urteilen?“) gepaart mit profundem Halbwissen über das „eigentliche“ Anliegen der Demonstrationsteilnehmer, die nämlich auf „antiimperialistische Randaleevents“, ihren „Vorbildern in Berlin oder Hamburg“ nacheifernd, ausseien. Leserbriefschreiber, Stadtmarketing und der Köthener Stadtrat bewiesen mit ihren belanglosen Äußerungen zum Kleinstadtleben („Köthen ist nun mal nicht Frankfurt!“) vielmehr, dass Lesen und Verstehen immer noch zwei Paar Schuhe sind. So kam es, wie es kommen musste, und in der MZ drehte sich die Diskussion über das „hässliche“ Köthen um die „Peripherie, wo noch viel gemacht werden muss“, „Dreck“ auf den Straßen, der „von manchen Zeitgenossen achtlos in den öffentlichen Raum entsorgt“ werde und der Aufforderung an die „Mitbürger, den Hundekot doch gefälligst ordentlich zu entsorgen“. Für diesen Aufruf zur Ordnung brauchte es aber schon Martin Pfarr, seines Zeichens Fraktionsvorsitzender der SPD im Stadtrat, der nicht nur an die Sauberkeitserziehung der Bürger appellierte, sondern gleich die Kritiker der Köthener Zustände ganz sozialdemokratisch umarmte („gerade in der Verzerrung – auch in der extremen – steckt immer ein Körnchen Wahrheit“), und deren Kritik zur Grundlage seines Aufrufs „Schöner unser Köthen!“ machte. Und damit es in Köthen nicht nur schöner, sondern auch besinnlicher wird, überlässt die Redaktion der Bonjour Tristesse die letzten Worte einer Köthener Mitbürgerin, die auch mal an die Kinder denkt: „Der alljährliche Weihnachtsmann. Nach all den Jahren müsste dies mal ein anderer machen. Der jetzige geht überhaupt nicht mehr auf die Kinder ein und unterhält sich auf dem Weihnachtsmarkt lieber mit Erwachsenen.“
[…] Editorial […]
[…] wird, neben Texten über z.B. den Stadtteil Glaucha oder den Pazifismus der hallischen Linken, im Editiorial und im Text „Eine Perle Sachsen-Anhalts“ auch auf Köthen eingegangen. Uns gefiel das […]
Was ist der Plural von Kot???
Antwort:
Köthen
P.S.:
Der Hunde- und Menschenkot passt also voll ins Stadtbild…
hallo redaktion,
ich muss sagen ihr habt einen etwas sehr einseitigen output. ihr kritisiert fast nur. macht mal das schlecht und mal das. ziemlich destruktiv wie ich finde. klar gibts dinge, die ab und zu kritikwürdig sind. aber habt ihr nichts anderes als nur kritik anzubringen? die überingens meist sehr überheblich daherkommt.
mfg