Fortsetzung des Artikels aus Bonjour Tristesse #8 (2/2009).
Das post-nazistische Deutschland
Zwar wurde Nazideutschland militärisch besiegt, doch die Nachkriegsordnung der Bundesrepublik ist keineswegs Resultat einer „Stunde Null“, sondern bewegt sich ganz und gar auf den Resultaten des Nationalsozialismus. Zunächst psychologisch: Dass jene Massenpanik nach dem Sieg der Alliierten ausblieb, wie sie Sigmund Freud für das Zerbrechen kollektiver Identitäten diagnostizierte, lässt für Theodor W. Adorno, „nur eine Folgerung offen: dass insgeheim, unbewusst schwelend und darum besonders mächtig, jene Identifikationen und der kollektive Narzissmus gar nicht zerstört wurden, sondern fortbestehen“. Ökonomisch: Das Wirtschaftswunder basierte hauptsächlich auf einer von den Westalliierten finanzierten Allianz von Vollbeschäftigung und Massenkonsum, was letztlich den wahnwitzigen Schluss zuließ, dass der Vernichtung nicht etwa Strafe, sondern Belohnung folgte. Das Kapital erscheint hierdurch als schon immer gewünschtes krisenfreies, produktives und der Allgemeinheit verpflichtetes Unterfangen, als überdimensionierte Volksfürsorge. Wohl gemerkt sind dies genau jene Vorstellungen, die den Vernichtungswahn im Nationalsozialismus anstachelten.
Jedoch ist diese Nachkriegsordnung nicht einfach eine Kopie des Nazifaschismus. Die Nazis mobilisierten die Massen noch unmittelbar. Jetzt scheint die Gemeinschaft in die Totalität von Waren und Dienstleistungen gebannt. Der Genuss des Gemeinschaftsgefühls bedarf keiner KdF-Fahrten und Massenaufläufe mehr, sondern findet faktisch im Privaten statt und ist über die Zirkulation vermittelt. Am VW-Käfer interessierte nicht primär der Gebrauchswert, er wurde nicht in erster Linie als ein nützlicher Gegenstand betrachtet, mit dem man von A nach B gelangen kann. Sein Besitz stiftete vielmehr das Gefühl, der nationalen Gemeinschaft anzugehören. Der vergemeinschaftende Effekt bestimmt das Bedürfnis der Konsumenten und wird zum entscheidenden Merkmal des Produktes. Dass der Massenvernichtung Wohlstand folgte, schlägt sich somit im Bewusstsein der Massen nieder.
Dieses Massenbewusstsein verstärkt sich durch die Art und Weise, wie der kollektivistische Etatismus der Nazis demokratisch weiterbewirtschaftet wird. Der post-nazistische Staat installiert zur Verhinderung der scheinbar gebannten Krise ein System aktiver Krisenprävention, welches als System der „sozialen Marktwirtschaft“ bekannt wurde. Das Prinzip Volksgemeinschaft wird auf Sparflamme und als Notstandsreserve weitergeführt. Der „kleine Mann“ wird hofiert, indem Gemeinwohlorientierung und der durch den Sozialpakt umzusetzende Interessenausgleich propagiert werden und sich das politische Personal als „ehrlicher Makler“ präsentiert. Der NSDAP-Programmpunkt „Gemeinwohl geht vor Eigennutz“ spiegelt sich im Grundgesetz Artikel 14 („Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“) wieder.
Der bundesdeutsche Staat beendet die nationalsozialistische Mobilmachung nicht, sondern konserviert diese für den Fall des Notstandes. Was in Konsum gesättigter Apathie still gestellt scheint, ist jederzeit auf dem Sprung, in panische Raserei umzuschlagen. Das Ende des so genannten Wirtschaftswunders zerstört die Annahme krisenfreier Akkumulation und der etatistischen Zähmung des Kapitals. Und gerade das führt dazu, dass im allgemeinen Bewusstsein die Krise nach altbewährtem Muster wahrgenommen wird. Der Antisemitismus ist öffentlich tabuiert und kann nur als Hass auf Israel, Amerika und auf vermeintliche „Gemeinschaftsschädlinge“ ungeniert verlautbart werden. „Die da oben“ werden als egoistische Eliten wahrgenommen, die sich an den ehrlichen Leuten nur bereichern würden. Der empirische Staat erscheint in Zeiten des Abbaus sozialstaatlicher Garantien als Verrat am „wahren Staat“, der sich wie im Nationalsozialismus um die Sorgen der Volksgenossen kümmert. Vermeintlicher Egoismus, Unproduktivität und korrupte Politiker lassen den Ruf nach dem „starken Mann“, der mal so richtig aufräumt, immer mal wieder laut werden.
Die unentwegte Suche nach Feindbildern hat längst die Form einer Dauermobilisierung des Volkszorns angenommen, bei der die Medien als Mobilisierungsagenturen fungieren. Wer in den Verdacht gerät, dem Gemeinwohl zu schaden, gerät ins Visier der Verfolgungswilligen. Es kann jeden treffen und prinzipiell ist jeder verdächtig, seien es „Kinderschänder“, Kampfhunde, „Sozialschmarotzer“, „Heuschrecken“, Manager, „zockende Banker“ und selbst Stiefel-Nazis. Parlament, Verbände, Parteien und Gewerkschaften sind als vermittelnde Instanzen, die Konflikte institutionalisieren und damit den Volkswillen zügeln, in besonderem Maße verdächtig. Obwohl doch gerade die Volksvertreter bemüht sind, dem Willen des Volkes Rechnung zu tragen, zum Beispiel durch ein verschärftes Sexualstrafrecht und Erlasse zu Kampfhunden.
Der Staat wandelt sich von einer kollektiven Wohlfahrtsagentur in einen schlanken Staat, wobei die scheinbare Selbstzurücknahme seine Erweiterung bedeutet: das staatliche Gewaltmonopol erscheint als allgemeine Mobilmachung in jedem Einzelnen zur Sicherung des Gemeinwohls. „Eigenverantwortung“, „Selbstverwaltung“ und „direkte Demokratie“ sind dafür die Stichworte, die die Linke als Steilvorlage der Modernisierung des Postnazismus geliefert hat. Dies bedeutet die vorläufige Privatisierung des Ressentiments, das auf Sparflamme bleibt, aber jeder Zeit in den Bewegungszustand überzugehen droht, um als temporäre Zusammenrottung aufzutreten – nämlich dann, wenn sich die Rhetorik des latenten Notstandes radikalisiert und das Kollektiv sich gegen Störer der Ordnung in Stellung bringt.
Der Islam als zeitgemäßer Ausdruck deutscher Ideologie
„Alles Sein ist zum Tode“. Diese Konsequenz der Heideggerschen Philosophie ist Inbegriff der nationalsozialistischen Bewegung und steht für die bedingungslose Opferung des eigenen Lebens für die im kollektiven Wahn zusammengeschweißte deutsche Volksgemeinschaft. Der Islam ist das Abziehbild jener Todessehnsucht, die dem Nazifaschismus zu Eigen war und die beide bereits zu Zeiten des deutschen Vernichtungsfeldzuges einte. Man muss keinesfalls nur die persönlichen Verbandelungen früherer Dschihadisten mit dem Nationalsozialismus nachzeichnen – etwa des Muftis von Jerusalem Amin El-Husseini – um das innige Verhältnis von Islam und Nationalsozialismus nachzuweisen. Deutschland war zunächst dem arabischen Nationalismus Vorbild für eine Modernisierung, die sich lediglich der regressiven und repressiven Elemente der bürgerlichen Gesellschaft bediente, ohne jedoch den Umweg einer bürgerlichen Revolution zu beschreiten. Ein den klassischen bürgerlichen Gesellschaften des Westens inhärenter Prozess der Säkularisierung und der Schaffung formaler Rechtsgleichheit fand nicht statt. Umgekehrt diente der Orient dem deutschen Bewusstsein immer wieder als Folie für traditionelle Bezüge auf Gemeinschaft und Kollektiv, als erfolgreiches Bollwerk gegen Verwestlichung und Egoismus mittels kultureller Identität und Glauben. In Sachen Todeskult, Vernichtungseifer und radikalem Judenhass wurde schließlich das grün-braune Band der Sympathie geknüpft. Die Wurzeln der islamischen Erweckungsbewegung reichen in die 1920er Jahre zurück, als in Ägypten die Moslembruderschaft entstand. Ihre Gründer sahen sich dazu berufen, den Islam vor der Verdorbenheit des Westens zu schützen. Es galt die Gemeinschaft vor zersetzenden Kräften zu verteidigen, die im Materialismus der Juden personifiziert wurden. Die Konkurrenz von arabischem Nationalismus und islamischer Glaubensgemeinschaft verschwand hinter einer alle Fraktionen einigenden Feinderklärung in Form eines militanten Antisemitismus und der damit einhergehenden Begeisterung für den Nationalsozialismus schon vor Hitlers Machtübernahme.
Der volksgemeinschaftliche Charakter manifestiert sich bis heute in der Einheit von Religion, politischem System und Scharia, die eine Trennung von Öffentlichkeit und Privatsphäre verunmöglicht. Die Allgegenwärtigkeit des Islam – die bewusste Selbstaufgabe und Einordnung des Einzelnen ins repressive Kollektiv der Umma, der islamischen Glaubensgemeinschaft – befeuert die beständige Vernichtungsandrohung gegen all jene, die als Ungläubige nicht dazugehören und denen man gleichzeitig die Schuld an den Übeln der Welt zuschreibt. Dazu zählen auch die Unzulänglichkeiten einer wenig auf Reproduktion angelegten Ökonomie, die sich trotz teilweiser Modernisierungsschübe – ohne eine Revolutionierung der gesellschaftlichen Verhältnisse vermittels der Stiftung der Einzelnen als Marktsubjekte – mit einem Schattendasein innerhalb der kapitalistischen Wertvergesellschaftung zufrieden geben muss. Die ökonomische Rückständigkeit erschwert die Legitimation des Anspruchs, sich als Herrenmensch über den Rest der Welt aufschwingen zu wollen. Daher muss die Vorstellung, Opfer einer Verschwörung geheimer Zirkel zu sein, immer wahnhaftere Züge annehmen. Die Islam-Kämpfer fühlen sich als Vertreter einer überlegenen Kultur, die jedoch beständig gedemütigt werde und somit die ihr gebührende Position in der Welt nicht einnehmen könne. Dieser angeblichen Demütigung und Respektlosigkeit durch die Ungläubigen setzen die Dschihadisten eine Dauermobilisierung entgegen, die von einer Endsiegmentalität geprägt ist und die nicht davor zurückschreckt, alles in Schutt und Asche zu legen und letztendlich das Selbstopfer zu preisen. Hintergrund dieser Mobilisierung ist die Feindschaft gegen Freiheit und Genuss, die Verewigung der gegen jede Form von Zivilisation und Individualität ausgerichteten Gemeinschaft, die doch nichts anderes bereithält als selbstverwaltetes Elend. Die einzelnen, sich zum Teil bekämpfenden Fraktionen der Islamnazis, deren Kitt die Feindschaft gegen die Juden, Israel und ganz allgemein gegen den Westen ist, beziehen sich ausdrücklich nicht auf einen speziellen Staat oder (weltlichen) Führer. Vielmehr setzt man auf viele regionale Vernichtungsaktionen, die unabhängig voneinander geplant und ausgeführt werden. Die Banden rekrutieren bereitwillige Märtyrer und konkurrieren darum, wer das Ziel der Vernichtung am erfolgreichsten umsetzt. Hatte Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein gewaltiges industrielles Potential, auf dessen Grundlage eine Massenbewegung, die im Staat aufging, möglich war, so kann davon für die arabischen Staaten, den Iran und andere islamische Länder nicht die Rede sein. Deren Entwicklungsstand ist sehr heterogen: einerseits Staaten, die mittels hoher Ölrenten Betonparadiese in die Wüsten setzen und neben denen andererseits Staaten existieren, deren Bevölkerung kaum die materielle Grundversorgung genießt.
Da die direkte Verfügung der Dschihadisten über ein staatliches Gewaltmonopol mit angeschlossenem ökonomischen Potenzial die Ausnahme ist, um die Bevölkerung wie im Nationalsozialismus zur Massenbewegung zu formieren, findet vermittels des Selbstmordattentäters die „Privatisierung staatlicher Vernichtungsaktionen“ (Gerhard Scheit) statt. Das suicide bombing ist dergestalt eine moderne Form politischer Gewaltausübung, da die Selbstmordattentäter ohne das für den Nationalsozialismus typische Staatsubjekt zur Tat schreiten und dieses auch gar nicht mehr benötigen. Unstaat, Zerfall und Chaos treten hier weit offener zu Tage als beim deutschen Original. Der Anspruch auf eine einheitliche politische Form entfällt und wird nicht einmal als Anspruch formuliert; die imaginierte Umma ist nicht mehr als schattenhafte Vision. Der für den Nationalsozialismus charakteristische allumfassende (Un-)Staat wird durch Organisationen wie etwa die Hamas ersetzt, die neben der Vernichtung mittels einer Vielzahl von Wohlfahrtsaktivitäten die Gefolgschaft der Bevölkerung sichern und eine privatisierte Elendsselbstverwaltung organisieren. Gleich dem Nationalsozialismus ist der Islam Vorreiter einer regressiven Tendenz der kapitalistischen Vergesellschaftung, die noch den letzten Rest an freiheitlichem Potenzial der bürgerlichen Gesellschaft kassieren will.
[…] 15/04/2010 von schneespuren zum gegenstand antideutscher kritik. oder: was ist deutsch? (teil 2) von mario möller aus der bonjour tristesse nr.9 [1/2010] (hier) […]
Da kann man nur hoffen, dass Israel sich seiner Feinde möglichst effektiv erwehren kann. Nur so kann man an Kommunismus überhaupt noch denken.