Im Folgenden dokumentieren wir einen Redebeitrag der AG „No Tears for Krauts“ Halle, der am 9. Januar auf der Demonstration „Ein Angriff auf das, was wir Scheiße nennen! Gegen den deutschen Normalzustand“ in Köthen gehalten wurde.
Liebe Freunde und Genossen, sehr geehrte Zonenbewohner, liebe Arbeitslose, Eingeborene usw.,
als wir, die AG „No Tears for Krauts“ Halle, vor einiger Zeit gefragt wurden, heute hier einen Redebeitrag zu halten, waren wir zunächst etwas verwirrt. Wir fragten uns: Wogegen, um Himmels Willen, soll hier demonstriert werden? Oder schlimmer noch: Wofür? Für Schönheit? Gute Laune? Ein „autonomes Jugendzentrum“? Warum eine Demonstration in einer der hässlichsten Gegenden im hässlichsten aller deutschen Bundesländer? Muss man an jedem Hundehaufen schnüffeln, um zu wissen, dass er stinkt?
Der Grund, warum wir hier sind, ist dennoch recht einfach zu erklären: Die heutigen Organisatoren, die Köthener „Gruppe gegen deutsche Normalität“, wollen nicht nur über an Bushaltestellen herumsitzende Nazitrottel sprechen. Sie haben auch nicht deshalb dazu aufgerufen, nach Köthen zu kommen, weil sie glauben, dass das Leben in einem Deutschland ohne Naziläden ein signifikant besseres wäre. Das heißt, die Köthener „Gruppe gegen deutsche Normalität“ unterscheidet sich von dem, was die derzeitige linke Szene samt Antifa-Anhang in der Bundesrepublik üblicherweise ausmacht. Während sich in Berlin Linke nahezu täglich der – ökologisch nicht ganz einwandfreien – Einäscherung sogenannter Luxuskarossen widmen und die „Verteidigung“ ihrer heruntergekommenen Wohnlöcher zum ersten Lebensinhalt geworden zu sein scheint; während in Leipzig linke Fußballfans ihre Hauptagitation im Namen der Tradition gegen den österreichischen Getränkehersteller „Red Bull“ richten; und während sich in Magdeburg der Stadtfelder Kiez-Krieg gegen den Zionismus nach wie vor großer Beliebtheit erfreut, will die Köthener „Gruppe gegen deutsche Normalität“ von diesem Mummenschanz erfreulicherweise nichts wissen.
Während man also in Berlin das einfache Leben und Armut für alle fordert; während man in Leipzig Tradition größer als Ideologiekritik schreibt; und während das Denken wohl auch zukünftig um die linke Szene Magdeburgs einen großen Bogen machen wird, hat die tägliche Empirie, also das beständige Erleben ostzonaler Zustände, die Köthener Antifa eines gelehrt: Es gibt, zumindest dann, wenn man Gesellschaftskritik ernst meint, mit der überwältigenden Mehrheit der Einwohnerschaft keine Gemeinsamkeiten. Es gibt keine Forderungen, die an sie zu richten wären; nichts, was als Verbesserungsvorschlag, noch als Beitrag zum „besseren Köthen“ verstanden werden könnte. Und es gibt auch keinen Grund, einem Kacknest wie diesem das Feigenblatt einer engagierten Jugend zu verpassen, die nur, wie „junge Leute eben sind“, in ihren Äußerungen etwas über die Stränge schlägt. Es kann ebenso wenig darum gehen, zu versuchen, im Ressentiment verlorene Ostler auf den richtigen Weg zu bringen. An einer Reeducation sind schon schlagkräftigere Organisationen als die lokale Antifa gescheitert.
Die Kritik ostzonaler Zustände kann deshalb nicht konstruktiv sein. Allein der Versuch ist strafbar. Bestraft damit, zu denen zu gehören, die Teil des Problems sind: staatlich finanzierte Zivilgesellschafter, Gutmeinende, Multikulturalisten. Problem deshalb, weil die Moneten aus Berlin noch dem letzten Kaff die Möglichkeit bieten, eine Teilzeitstelle für „Toleranz und Weltoffenheit“ einzurichten und so zu tun, als gäbe es eine funktionierende Zivilgesellschaft. Und damit darüber hinwegzutäuschen, dass Hetzjagden auf Inder wie im sächsischen Mügeln oder Morde an als „schwul“ gebrandmarkten jungen Männern wie 2009 in Magdeburg in der ostdeutschen Provinz sich überall und jederzeit wiederholen können. In beiden gerade genannten Fällen waren die Täter – wie die jeweiligen Bürgermeister nach solchen Taten oft nicht müde werden zu betonen – keine bekennenden Nazis. Das Absurde dabei: Die Stadtoberhäupter haben recht. Wer weiß, wie in Gegenden wie dieser hier bei familiären Geburtstagsfeiern über Schwule gesprochen wird; wie für sogenannte Kinderschänder nichts anderes als der möglichst grausame und am besten eigenhändig herbeizuführende Tod als gerechte Strafe empfunden wird; und wie Asiaten ganz selbstverständlich als „Fidschis“ firmieren, der weiß: Es bedarf keiner bekennenden Nazis, um die Gemeinschaft von imaginierten Störenfrieden zu bereinigen. Der Hass auf das „Andere“ ist nirgendwo so tief verwurzelt, wie in Gegenden, wo es das „Andere“ kaum gibt. Nicht umsonst ist im Westen der Republik das Risiko, Opfer eines fremdenfeindlichen Übergriffs zu werden, 17 Mal niedriger als im Osten, also als in Köthen zum Beispiel.
Wohl nicht zufällig beginnt das Online-Lexikon „Wikipedia“ seinen Beitrag über Köthen damit, dem Leser mitzuteilen, dass das „älteste Zeugnis menschlicher Anwesenheit in der Köthener Gegend ein […] etwa 250.000 Jahre alter Faustkeil eines altsteinzeitlichen Jägers“ sei. Menschheitsgeschichtlich scheint in der Region seitdem nicht viel passiert zu sein. OK, auch hier gibt es mittlerweile befestigte Wege, es fahren Autos, und auch hier gibt es im örtlichen Supermarkt Smarties und Capri-Sonne zu kaufen. Dennoch: Hier in Köthen verdichtet sich all dass, was den Osten der Republik so hässlich macht: Gemeinschaft, Lokalpatriotismus, wohlige Wärme des Kollektivs. Die Abgrenzung nach außen kennt dabei kein Ziel, sondern ist Selbstzweck. Der Hass der CDU-Wähler auf sogenannte Graffitischmierer, der Parteigänger der Linken mit seinem Hass auf Wessis und Amerika, der NPD-Sympathisant, der nur das ausspricht, was andere denken und dafür wiederum von diesen gehasst wird. Diese Menschen, ob in ihren Gartenlauben, Reihenhäusern, Mietkasernen oder Vereinslokalen, eint das Gefühl, betrogen zu werden, zu kurz zu kommen, hintergangen zu werden. Sich gewahr zu werden, selbst nichts wert zu sein, schlägt um in Stolz auf das, was noch dem letzten Trottel Identität zu geben verspricht: Tradition, Wurzeln, Blut und Boden. Ganz in diesem Sinne bietet Köthen allerlei Identitätsstiftendes. Ein Alkoholikerstammtisch, der unter dem Namen Karnevalsverein alljährlich den wohl öffentlichkeitswirksamsten Auftritt einer Horde Durchgeknallter organisiert, ist das Aushängeschild des Ortes, aus dem so namhafte Leute wie Paul Schmidt, der weltbekannte Erfinder der Trockenbatterie, und Georg Krause, Gründer der „Chemiker-Zeitung“, stammen. Der Karnevalsverein, der sich unendlich viel darauf einbildet, in der DDR verboten worden zu sein, ganz so, als ob die Zugehörigkeit zum Trinker-Milieu der frühen DDR einen Konformisten tatsächlich zum Dissidenten werden ließ, besitzt in der Stadt eine Art Heldenstatus. Köthen braucht keine Kameradschaft; es hat den Karnevalsverein. Doch auch den intellektuell Anspruchsvolleren bietet der Ort, um den selbst Flüsse einen großen Bogen machen, angemessene Betätigungsfelder: Die sogenannte „Fruchtbringende Gesellschaft“ hatte schon im 17. Jahrhundert ihren Sitz im wunderschönen Köthen. Ihre Aufgabe war es, die deutsche Sprache vor fremdländischen Einflüssen zu schützen und Fremdwörter zu „verdeutschen“. Nachdem sich bis 1945 die Volksgenossen und ihr großer Führer – dessen langjähriger Leibarzt Werner Haase, nur nebenbei bemerkt, in Köthen das Licht der Welt erblickte – um die Reinhaltung des Deutschen gekümmert hatten, und das Interesse daran in den Folgejahren abgeflaut war, gründete sich 2007 die „Neue Fruchtbringende Gesellschaft zu Köthen/Anhalt e.V.“. Aufgabe diesmal: „Die deutsche Sprache in ihrem grundlegenden Wesen und ihrer Bedeutung zu erhalten, auszuüben und zu pflegen“. Welch eine Ironie! Gerade in Köthen, einem Ort, an dem selbst die Studenten der ansässigen Fachhochschule kaum fähig sind, die Pronomen „mir“ und „mich“ auseinander zu halten und ein Großteil der Einwohner es nur vereinzelt fertig bringt, vor Fernsehkameras ohne mitlaufende Untertitel verstanden zu werden.
Köthens größter Schatz ist jedoch jemand, dessen behauptete Bindung zum Ort sich manch andere Städte nur wünschen können. Die Rede ist von Johann Sebastian Bach. Zwar wollte der Komponist schon zweieinhalb Jahre nach seinem hiesigen Engagement gen Hamburg davonziehen, doch erst drei weitere Jahre später gelang dem Kosmopoliten die Flucht aus der bedrängenden Enge des Ortes. Köthener Auftraggeber verweigerten dem Komponisten die Bezahlung, seine Frau starb, und dem ihn anstellenden Herrschaftshaus stand schon bald der Sinn nicht mehr nach Musik. Kurz: Es war eine Scheißzeit für den Künstler. Wann immer es ging, versuchte Bach aus der Stadt zu flüchten, und ließ deshalb kaum eine Gelegenheit aus, nach Leipzig, Berlin oder Karlsbad zu reisen. Von all dem möchte man in Köthen heute selbstverständlich nichts wissen. Bachstadt Köthen, das klingt gut. Dumm nur, dass die Stadt nicht aufgrund des berühmten Komponisten über die sachsen-anhaltischen Landesgrenzen hinaus bekannt wurde, sondern durch eine nahezu durchschnittliche Köthener Familie den Ruhm erlangte, den sie tatsächlich verdient. Es waren die sogenannten „Kinder von Köthen“, die von der Fernsehsendung „Stern TV“ seit 15 Jahren begleitet werden und die bereits im Jahr 1994 im Alter von sieben, acht, neun und zwölf Jahren eine Nachbarin und ihren Freund verprügelten und deren Wohnung verwüsteten.* Kurze Zeit später bekundeten zwei Zöglinge der Familie Ritter stolz vor laufenden RTL-Kameras, mit Baseballschlägern Ausländer blau schlagen und Skinheads werden zu wollen, wenn sie einmal groß sind. Dass die Mehrheit des Ortes der Familie Ritter mit ausgeprägtem Hass begegnet und sie loswerden will, dürfte weniger daran liegen, dass es den Ritterjungs im Gegensatz zum durchschnittlichen Köthener tatsächlich gelang, ihren „Berufswunsch“ in die Tat umzusetzen. Es dürfte vielmehr darauf zurückzuführen sein, dass die Ritters allzu deutliche Rückschlüsse auf das Klima vor Ort zulassen.
Auch wenn unser Vorschlag den heutigen Veranstaltern sicherlich nicht ausnahmslos gefallen dürfte, sei uns zum Schluss folgender Hinweis gestattet: Hört auf zu versuchen, in dieser Stadt Politik zu machen. Es gibt nichts zu retten an der ostdeutschen Provinz. Ihr dürftet schon viel mehr Zeit hier verbracht haben, als Johann Sebastian Bach, der nach fünf Jahren froh war, von diesem Flecken Erde endlich verschwinden zu können. Tut es ihm gleich. Haut hier ab! Kehrt dieser Gegend den Rücken und geht irgendwo dorthin, wo die Zivilisation wenigstens einen Schleier über die Barbarei des flachen Landes geworfen hat. Seid froh, dann nur noch zu Weihnachten und den einschlägigen Familiengeburtstagen die Stadtgrenzen überqueren zu müssen. Und das ist schon schlimm genug. It’s time to say goodbye. Und auch für unsere lieben Bürger und Bürgerinnen haben wir einen Schlusssatz mitgebracht: Uns unbeliebt zu machen, gehört zu unserer Spezialität. Zur Versöhnung haben wir euch Bananen mitgebracht.
AG „No Tears for Krauts“ Halle
Anmerkung:
* Näheres unter: http://www.vimeo.com/6362314
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Köthen verrecke!
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[…] Ein Aufruf zur Landflucht als Redebeitrag von Ag No Tears for Krauts zur Situation im ostzonalen Köthen. Dabei musste ich an einen geradezu […]
[…] June 24, 2010 · Leave a Comment Hört auf zu versuchen, in dieser Stadt Politik zu machen. Es gibt nichts zu retten an der ostdeutsc… […]
[…] February 28, 2010 · Leave a Comment Hört auf zu versuchen, in dieser Stadt Politik zu machen. Es gibt nichts zu retten an der ostdeutsc… […]
You should think about what you say. When you citicise you also have to point terminations.
Ist hier in Bayern (spezifisch Landkreis Ebersberg bei München) auch nicht anderes. Auch wenn die Leute mehr von den Vorteilen des Kapitalismus profitieren, also mehr Kohle haben, haben sie die gleiche Hillbillymentalität, egal ob im Rathaus, auf der Parkbank oder im Jugendtreff. Alles Deutsch. Zum Kotzen.
[…] (1) https://bonjourtristesse.wordpress.com/2010/02/21/time-to-say-goodbye/ […]