Das hallische „Steintor Varieté“, laut Straßenbahndurchsage das „älteste Varieté Deutschlands“, führt seit Urzeiten eine Weihnachtsrevue für Kinder auf. Mal sind die Hasen Hoppel und Poppel einem Geheimnis auf der Spur, mal stiehlt der Fuchs den Sack des Weihnachtsmannes, und mal sind die Weihnachtsgeschenke nicht rechtzeitig fertig. Das Schema ist seit gefühlten vierzig Jahren das gleiche: viele bunte Kostüme, viel Rumgehopse und viel Moral. In diesem Jahr ging es – Kopenhagen ist überall – um Umweltschutz: Die Trolle stehlen die Weihnachtskristallkugel des Weihnachtsmannes, um sich an den Menschen für die Zerstörung ihres Lebensraumes zu rächen; die Kinder im Publikum und auf der Bühne verpflichten sich daraufhin mit viel Pathos („Wir Kinder sind die Hoffnung dieser We-he-helt!“), in Zukunft mehr auf die Umwelt zu achten: Mülltrennung, Biogemüse, Wasserhahn richtig zudrehen. Nichts Besonderes also – der gleiche Gemeinwohlkitsch wie immer. Mit einer Ausnahme: Regisseur und Drehbuchautor wollten die Weihnachtsrevue offensichtlich als Beitrag begriffen wissen, um der Landeshauptstadt Magdeburg ihren kürzlich gewonnenen Titel als schwulenfeindlichste Stadt Deutschlands (siehe diese Ausgabe der „Bonjour Tristesse“) abspenstig zu machen – immerhin wird in Halle stets eifersüchtig auf jedes Ranking geschaut, in dem die Landeshauptstadt einmal besser abschneidet als der eigene Kral. Und so ließen sie den Fuchs, den Sympathieträger der Veranstaltung, der freilich immer wieder auf den rechten Weg gebracht werden muss, lautstark darüber witzeln, dass die derzeitige Bundesregierung mit einer hohen Frauenquote aufwarte: „Angela Merkel, Guido Westerwelle usw.“ Was für ein Kracher! Die bis dahin lethargischen Mamis und Papis prusteten los, Omi und Opi sprangen dem Tod (Herzstillstand wegen Langeweile!) noch einmal von der Schippe und klopften sich auf morschen Schenkel – und der Nachwuchs erfuhr, was er aufgrund zahlloser Andeutungen seiner Sippschaft ohnehin schon ahnte: Schwule sind keine richtigen Männer. Bleibt zu hoffen, dass die Landesregierung ihr Versprechen endlich wahr macht und die Mittel für den Kulturbetrieb des Landes kürzt: Lieber kein Theater als ein zur Revue aufgeblasener Selbstfindungskreis von Schwulenhassern. (aha)
Das ekligste Varieté Deutschlands
21. Februar 2010 von bonjour tristesse
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Sounds like „Fastenacht“. Den „besten“ Witz dieser Art bekam ich (neben vielen anderen, ähnlich gearteten) in einem Zug im Rheinland mit: „Schwester Welle, kommen sie mal her“ … oder so. Argggh.