Die diesjährige Debatte um Zensur im Internet und die Verabschiedung des Gesetzes zur so genannten Kinderporno-Sperre zeigte mal wieder eins: Hierzulande wird Verstand gern durch Gesinnung ersetzt. Das Thema Kinderpornografie ist hierfür prädestiniert. Über Kinderpornos lässt es sich völlig ahnungslos debattieren: Die Mühe, die behauptete dramatische Zunahme entsprechender Websites empirisch zu belegen, macht sich ohnehin niemand.
Und so wurde im Bundestag, in den Medien und auch im privaten Gespräch Widerspruch zum Gesetz nur dann geäußert, wenn einleitend auf die Schändlichkeit von Kinderpornografie hingewiesen wurde, man darauf verwies, dass man selbst mehrfache Mutter oder mehrfacher Vater sei und das Ganze schon deswegen abscheulich finde. In den Abendnachrichten aller Sender stand dementsprechend ein Gegner des Gesetzes mit einem Säugling im Arm vor den Kameras, um zu erklären, dass er „als Vater“ Kinderpornografie nicht gutheiße, aber das Gesetz trotzdem ablehne. Auch hier ließ sich Kritik am Vorhaben der Bundesregierung nur in dieser Form äußern. Dass diese Paranoia quer durch alle politischen Lager geht, zeigte – um nur ein Beispiel zu nennen – bereits die Paralyse der regionalen Antifa, als die NPD anlässlich entsprechender Vorwürfe gegen den PDS-Landtagsabgeordneten Stefan Gebhardt 2005 eine Demo gegen Kinderpornografie in Hettstedt durchführen wollte. Tatsächlich ist die Diskussion um Kinderpornos mittlerweile eines der Bauchthemen der deutschen Zivilgesellschaft. Es steht gleichberechtigt neben dem Kampf gegen Rechts, gegen Tierquälerei, den Krieg im Irak usw. Bei all diesen Themen weiß man sich mit der Mehrheit der Gesellschaft einig – bis hin nach ganz rechts, wo die Gründung der „AG Kritische FaschistInnen in und bei der NPD“ (Gerhard Henschel) nur noch eine Frage der Zeit sein dürfte.
Im Mai dieses Jahres bekam das der alternative Dessauer „Beatclub“ zu spüren. Auf einem Flyer, der eine Elektroparty am so genannten Männertag bewarb, hatten die Veranstalter eine Collage diverser Online-Trashfotos erstellt. Neben Fotografien, die sich mehr oder weniger witzig der Verherrlichung des Alkoholkonsums widmeten, waren zwei nackte Säuglinge abgebildet: einer drapiert mit Bierdose und Zigarette, ein anderer im Ringkampf mit einer Katze. Die Clubbetreiber erhielten daraufhin eine Vorladung zum Dessauer Ordnungsamt und trauten ihren Ohren nicht: Neben dem Vorwurf, Jugendliche zum „Komasaufen“ zu verleiten, wurde ihnen mitgeteilt, dass der dringende Verdacht auf Verbreitung von Kinderpornografie bestehe. Das Dessauer Jugendamt und die Polizei waren bereits informiert und hatten Stellungnahmen abgegeben. Dem Club wurde gedroht, den Fall an die Dessauer Staatsanwaltschaft zu übergeben, sofern die Werbung nicht sofort eingestellt und alle Flyer der Veranstaltung eingesammelt würden. Die Betreiber beugten sich diesem Diktat zwar aus Sorge um die eigene physische Reproduktion. Zurück bleibt jedoch nicht nur das merkwürdige Bild von Ordnungs- und Jugendamtsmitarbeitern, die bei Bildern nackter Säuglinge sofort an Sex denken. Interessant an dem Vorfall ist zugleich, dass das gleiche Personal der Dessauer Verwaltung für die Pornografie-Vorwürfe verantwortlich war, das – seit es opportun ist – auch zu den Klassenbesten im Kampf gegen Rechts gehören will. Hier legt man in der Verfolgung der jeweils aktuellen Gemeinschaftsschädlinge offensichtlich einen enormen vorauseilenden Gehorsam an den Tag. (jf)
[…] und Erfreuliches aus der Provinz: United we drink, U can’t touch this, Sanfter Druck, Sex sells?, Mal ganz unbefangen…, Reißt Euch am Riemen!, Hallische Sternstunden, Brown Bull, Bullshit […]