Im sachsen-anhaltischen Zerbst (zwischen Dessau und Magdeburg) traf das RTL-2-Format „Frauentausch“ auf seine Klientel: einen Lynchmob aus Anwohnern, Stadtverwaltung und Lokalpresse.
„Unzucht mit Unmündigen“ – so bezeichnete Anfang der 90er Jahre der Journalist Hans Zippert die unappetitlichen Ereignisse rings um die sogenannte Wende, die Heimholung der Ostdeutschen, das Hin und Her von Demütigung und Beleidigtsein, von Größenwahn und Abgreife. Dem Gieren und Grapschen folgten Depression, Apathie, Regression, Selbsthass und Aggression. Diese richtete sich keinesfalls nur gegen das Nicht-Deutsche: Die Front verlief zwischen Bürgerbewegten und „Stasisverbrechern“, zwischen Schrebergartennachbarn und natürlich zwischen Ost und West.
Das alles ist heute, was es damals war: Folklore und so egal, wie Geschichte nur sein kann. Vom Hass der Einheimischen aufeinander aber lebt noch immer die halbe Medien-Branche mehr oder weniger gut. So auch die Sendung „Frauentausch“, eine erfolgreiche RTL-2-Produktion, deren Gegenstand die Inszenierung eben dieses Frontverlaufes ist.
Die Dramaturgie von „Frauentausch“ besteht in der Konfrontation unterschiedlicher Milieus. Mütter wechseln für eine Woche ihre Familien und zeigen, wie es um ihre Fähigkeiten bestellt ist, eine fremde Familie zu managen – letztlich geht es immer irgendwie um Reinlichkeit, Kindererziehung und wieder Reinlichkeit. Und so trifft Ost auf West, arm auf reich, dumm auf klug, Laissez-fair auf harte Hand usw. usf.
Im Januar war das Format bei der Harz-IV-Familie Leps im sachsen-anhaltischen Zerbst zu Gast. Die Zerbster Tauschmutter Yvonne verbrachte ihre Tage essend vorm Fernseher, der Familienvater war ganz offensichtlich arbeitsunwillig („Bandscheibenvorfall“), die im Haus wohnende Mutter scheinbar auch vor ihrer Demenz grenzdebil, Erziehungsberechtigter des gemeinsamen Kindes war der Fernseher und selbiges trotz des Alters von sechs Jahren kaum artikulationsfähig, die Kamera streifte durch verlassene wie verwahrloste Zerbster Straßenzüge … Wäre da nicht die Gewissheit, es bei der RTL-2-Redaktion mit einem besonders ekligen Schlag von Medienmenschen zu tun zu haben, hätte man seine Freude am Spiel mit dem seit 19 Jahren bewährten Stereotyp der unansehnlichen, von Selbsthass und Depression zerfressenen Zonis gehabt – schon allein deswegen, weil man immer irgendwie einen empörten Peter Sodann oder Pfarrer Schorlemmer vor Augen hat, wenn dem Ostdeutschen mal wieder zugesetzt wird.
Auf der anderen Seite die Hamburger „lebenslustige Mini-EU-Familie aus dem hohen Norden“ (RTL-2-Kommentar), bestehend aus polnischer Mutter, Sohn und französischem Lebensgefährten und von RTL 2 quasi als die Verkörperung der zivilisierten Welt vorgesehen. (Pikanterweise waren Mutter und Sohn Islamkonvertiten und der Grund, dass die Sendung später auf http://www.muslima-aktiv.de diskutiert wurde.)
Der nun folgende Clash of Cultures hielt, was die Ausgangskonstellation versprach. Polin und Ostmann gerieten schnell aneinander, letzterer wurde am Ende offenbar vom Kamerateam abgehalten, handgreiflich zu werden. Ostfrau versagte angesichts der Zumutungen urbanen Lebens, verwechselte beim Einkauf Zwetschgen mit Schalotten, polnisch mit chinesisch und diente letztlich nur der Blamage ihrer Gastfamilie. Nach einer Woche Dreh bzw. einer Stunde Sendezeit war der Spaß vorbei.
Soweit, so blöd. Doch in Zerbst gab man sich mit dem Bild, das von der Stadt und ihren Einwohnern gezeichnet wurde, nicht zufrieden. Was nun folgte, war das bekannte Reaktionsmuster einer ostdeutschen, archaischen Gemeinschaft auf die Konfrontation mit ihrer eigenen Welt; das Ganze mit dem üblichen Personal: einem FDP-Bürgermeister (ohne den geht’s scheinbar wirklich nicht mehr), dem Lynchmob und einer Lokalpresse, die seit je gewohnt ist, den Platz zwischen Kleinanzeigen und Fahrraddiebstahlsmeldungen mit affirmativem und reaktionärem Dreck vollzuschmieren und zum 100sten Mal den Beweis anzutreten, dass bürgerliche Öffentlichkeit den Sprung über die Elbe nie geschafft hat.
Eine Woche nach der Ausstrahlung der Sendung und etlichen empörten Leserbriefen in der Zerbster Regionalausgabe der „Volksstimme“ versammelte sich eine Menschenmenge von 50, laut Presse jugendlichen Personen vor dem Haus der Frauentausch-Familie und warf mit Eiern und Flaschen. Ursache der Empörung des leserbriefschreibenden wie randalierenden Mobs – der sich in den nächsten zwei Wochen nahezu allabendlich in bis zu 100-köpfiger Stärke zusammenrottete – war das schlechte Bild seiner Heimatstadt Zerbst, das die Sendung und mithin Familie Leps vermittelt hatten. Die Westmedien waren nicht vor Ort, und so wurde der Unmut an einem der ihren ausgelassen. Sekundiert und angeheizt wurde der Mob von Bürgermeister Helmut Behrendt und der Lokalpresse, deren Aufruf nach Mäßigung als bloße Attitüde erschien. Behrendt äußerte gegenüber „Spiegel-Online“, er sei „entsetzt über die Macher der Sendung. Die sollten sich schämen! […] Der Westen soll schlau und schön rüberkommen, und der Osten dumpf und grau. […] Wir hatten ja schon mal so eine Sendung hier, wo ein Restaurant auf Vordermann gebracht werden sollte. Da kommen dann die Retter aus den alten Bundesländern und sorgen für Ordnung, Sauberkeit und Schliff.“ In der Tat hatte Behrendt von einem Zerbster Restaurantbesitzer, der von den „Kochprofis“ von RTL 2 besucht worden war und in diesem Zusammenhang geäußert hatte, er wolle, dass das „Nest aus seinem Schlaf erwacht“, eine öffentliche Entschuldigung verlangt.
In der „Volksstimme“ und der „Mitteldeutschen Zeitung“ stand in den Wochen nach der Ausstrahlung somit vor allem RTL 2 am Pranger, das sich nun von seiner eigenen Hauptzielgruppe mangelndes Niveau unterstellen lassen musste. Das dem Bürgermeister so wichtige „Ansehen Zerbsts“, d. h. die Lebenslüge des Kollektivs, dem er vorsteht, ist alles, was dieser wie auch anderen von Zivilisation verlassenen ostdeutschen Einöden bleibt – das einzige, was inmitten des Vakuums gesellschaftlichen Verfalls Identität stiftet. Und so wurden die allabendlichen Krawalle auch von denen gestoppt, die das letzte Refugium von Gesellschaft in der Provinz darstellen: der Polizei.
Aus der Verbitterung über die eigene, auswegslose Situation wird Lokalpatriotismus. War dieser lange Zeit der kleine, behinderte Bruder des Nationalismus, scheinbar harmlos in seiner Erscheinung zwischen Trachtenfest, Umweltgruppe und Lokalsport, so zeigt sich zunehmend sein aggressives Potential. Mob, Lokalpolitikchargen und Lokalpresse sind ebenso selbstverständlich Teil dieser Anarchie der Volksgemeinschaft, wie sie auch gemeinsam gegen jene vorgehen, die beabsichtigt oder versehentlich aus diesem Kollektiv herausfallen.
So war es nur folgerichtig, dass der Dessauer MZ-Kommentator Matthias Bartl – der seine nicht minder triste Heimatstadt vermutlich ebenfalls verunglimpft sah – unter der Überschrift „Die Einöde im Kopf“ (kein Witz) die „sonst so gelassenen Zerbster“ ankumpelte: Sie hätten derlei Aufregung doch gar nicht nötig. „Was juckt es eine Eiche, wenn sich die Schweine an ihr wetzen … Die Einöde liegt nicht hier. Sie liegt zu allererst in den Köpfen der Leute, die sich solchen Schmarrn ausdenken.“
Die fast zwei Wochen andauernden Krawalle waren – wenn nicht in ihrer drastischen Äußerung, so doch in ihrer Haltung – so alltäglich, dass moralische Empörung nicht taugt, ihnen zu begegnen. Die hierfür zuständige Zivilgesellschaftsclique war allerdings in Zerbst dennoch nicht anzutreffen. Da es sich bei den Demonstranten nicht um augenscheinliche Nazis handelte und demzufolge das ganze Drama der Statistik nicht dienlich war, begrenzte sich die überregionale Wahrnehmung der Ereignisse auf die Onlineausgaben von „Spiegel“ und FAZ.
Jörg Folta
Die vollständige Sendung findet man bei YouTube.com.
hübsch