Paul Desandren
Seit einigen Jahren ist der Faire Handel in aller Munde. Keine Stadt, in der es nicht mindestens einen Laden gibt, in dem „faire“ Strickwaren, „fairer“ Kaffee und „fairer“ Ethno-Kitsch dargeboten werden. Selbst in der Mensa können Studenten mittlerweile ihr schlechtes Gewissen beim Kauen seltsam schmeckender und selbstverständlich „fairer“ Schokoriegel beruhigen. Mehr als Grund genug, für Paul Desandren zu beleuchten, was es mit dem Fairen Handel auf sich hat und was sich dessen Befürworter wünschen.
Das Gutsein feiert fröhliche Urstände. Derweil sich Dritte-Welt-Verhältnisse auch in den Zentren der kapitalistischen Produktion andeuten, ergreift ihre Bürger die Sehnsucht nach der archaischen Lebensweise. Sie wird von ihnen als natürlich erkannt, ist doch der Rückfall ihrer eigenen Verhältnisse in vorzivilisatorische Gesellschaftszustände Resultat eines Prozesses, den sie weder verstehen noch kontrollieren, den sie also als nichts anderes fassen können denn Naturhaftigkeit der Gesellschaft. Zunächst hat diese Faszination widersprüchlichen Charakter. Der selbstbewusste Bürger, das bürgerliche Subjekt erkennt einerseits in der Naturbefangenheit der vormodernen Völker gesellschaftliche Natur schlechthin, als die es auch die eigenen Zustände fasst, ohne angesichts ihrer radikal-modernen Erscheinung daran glauben zu können. Gleichzeitig sieht derselbe Bürger in ihnen eben jenen Naturzustand des Menschen, den er an sich selbst bekämpfen muss, um als bürgerliches Subjekt bestehen zu können. In dem Maße jedoch, in der dem Subjekt die eigene Existenz als mystifizierte erscheint, als ein Dasein, dessen Gesetze sich seiner eigenen Ratio und Kontrolle entziehen, in diesem Maß wächst seine Faszination für alles Naturbelassene und Urwüchsige und vor allem für den Menschen, in dem er es erkennt und in dem er seinesgleichen sieht. Auf diese Weise entsteht aus dem rassistischen Stereotyp, das im Schwarzen die ungebändigte Natur erkennt, die Solidarität mit dem vermeintlich Urwüchsigen. Diese antirassistische Solidarität verliert ihr rassistisches Moment trotz allem Zugehörigkeitsgefühl nicht, da der Schwarze als Fremder (auf deutsch: als Spezies anderer Kultur) für etwas steht, was der Mensch der zivilisierten Gesellschaften zwar gerne sein möchte, aber nicht kann, weil das, was ihm die eigene Natur, eben Produkt der Zivilisation ist.
Das Gutsein feiert also fröhliche Urstände, und es liegt ganz in seiner Logik, dass es sich schwer damit tut, herauszurücken damit, dass es hasst und sich ebenso verweigert gegenüber der Erkundigung nach dem Objekt seiner Verachtung. So ist der „Grünen Jugend Halle“ kein Vorwurf zu machen, wenn sie sich als Sachwalter des guten schlechten Gewissens anempfiehlt: „Zusammen mit vielen anderen Initiativen setzten wir uns ein für ökologisch angebaute Nahrung in den Mensen […] Außerdem gibt es seit dem Wintersemester 2007 in allen Mensen nur noch Kaffee aus fairem Handel.“ So ist auch der Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul kein Vorwurf darin zu machen, dass sie die Schirmherrschaft über eine bundesweite Veranstaltung namens „Faire Woche“ übernimmt, die für ihre öffentliche Kampagne herausgefunden hat, dass „der Faire Handel zum Erhalt der biologischen Artenvielfalt beiträgt“. Schließlich ist auch den Kunden kein Vorwurf zu machen, von denen Frau Wieczorek-Zeul weiß, dass jeder von ihnen „einen Beitrag zur weltweiten Armutsbekämpfung“ leistet, und sich daher „sehr über den gegenwärtigen Boom des Absatzes“ freut. Was ist dazu zu sagen? Gegen die Schaffung von „menschenwürdigen Lebens- und Arbeitsbedingungen“ in der Dritten Welt kann man gar nichts einwenden. Kann da nicht das einzig Richtige sein, ihren Bewohnern einen fairen Preis, von dem sie leben können, zu verschaffen? Ist es da nicht zynisch und hinterhältig, wenn jemand Böses denkt, weil solche Verhältnisse in der Dritten Welt immerhin seit gut 40 Jahren selbst in Deutschland kein Geheimnis sind und die Idee der Linderung mit ihrer Unbeholfenheit besticht? Die Erkenntnis des Guten braucht eben ihre Zeit. Und weil diese Zeit nun gekommen ist, füllen sich die Supermarktregale Deutschlands mit Waren, deren Siegel für ihre eigene soziale und ökologische Güte und vor allem für die ihrer Kunden bürgen soll; weil das Gutsein frohe Urstände feiert, kümmern Frau Wieczorek-Zeul und die „Grüne Jugend Halle“ sich beflissen um die Durchführung der neuen Methode. Damit zeigen sie, dass, wenn die Politik die Kunst des Möglichen ist, sie zu ihr nicht willens sind, weil sie die Förderung der deutschen Gutmenschen-Kapitale als Linderung des tatsächlichen Elends ausgeben. Sie verwechseln Mittel und Zweck, und die Beseitigung des schlechten Zustands ist ihnen nichts als eine Begründung zur Ausweitung des Geschäfts, welches angeblich keines sein soll.
Gerechtigkeit und Recht …
Nirgendwo blamiert sich Gerechtigkeit so über alle Maße, wie in den Ländern der Dritten Welt. Gerechtigkeit, das ist nicht nur den Freunden des Fairen Handels der Umstand, dass, wer für den freien und gleichen Tausch produziert, auch leben können muss. Nun ist es allerdings so, dass der freie und gleiche Tausch der meisten Menschen der Dritten Welt überhaupt nicht bedarf. Nirgendwo zeigt sich besser, dass, wie Marx es schreibt, die Menschenrechte nur für die Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft gelten. „Keines der sogenannten Menschenrechte geht also über den egoistischen Menschen hinaus, über den Menschen, wie er Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft, nämlich auf sich, auf sein Privatinteresse und seine Privatwillkür zurückgezogenes und vom Gemeinwesen abgesondertes Individuum ist. Weit entfernt davon, dass der Mensch in ihnen als Gattungswesen aufgefasst wurde, erscheint vielmehr das Gattungsleben selbst, die Gesellschaft als ein den Individuen äußerlicher Rahmen, als Beschränkung ihrer ursprünglichen Selbständigkeit. Das einzige Band, das sie zusammenhält ist die Naturnotwendigkeit, das Bedürfnis und das Privatinteresse, die Konservation ihres Eigentums und ihrer egoistischen Person.“ 1 Die Gleichheit, die durch die Menschenrechte fixiert wird, ist nicht die Anerkennung der einzelnen Menschen als besondere, als gleichermaßen vernunftbegabte und emanzipationsfähige Geschöpfe. Die Gleichheit des Menschenrechts abstrahiert von jeder individuellen Besonderheit des Menschen und resultiert aus der Reduktion menschlicher Fähigkeiten auf eine einzige abstrakte Gemeinsamkeit, auf die Verausgabung abstrakt menschlicher Arbeit, welche in den Waren, die sie herstellt, zum Wert gerinnt. Sie findet also ihre Grundlage in der tatsächlichen Abstraktion von aller konkreten Eigenschaft des Menschen und in seiner Reduktion zum Träger menschlicher Arbeitskraft, die ihm die kapitalistische Produktion aufzwingt. „Als Recht auf ungestörte Verwertung von formal gleicher menschlicher Arbeitskraft sind die Menschenrechte keine Rechte von, sondern Rechte an Menschen, und die gegenseitige Anerkennung als Freie und Gleiche nur das blinde Resultat einer realen Vergleichung, die ohne menschliches Wissen und ohne menschlichen Willen geschieht.“ 2 Diese reale Vergleichung sind der Kauf und Verkauf der Ware Arbeitskraft, ihre Veräußerung gegen Geld, die das ureigene Produkt der Durchsetzung kapitalistischer Produktionsweise ist.
… entbehren in der Dritten Welt ihrer Grundlagen …
Bereits in der Kolonisationsepoche zeigte sich, dass die Menschenrechte Eigentum, Freiheit, Gleichheit und Sicherheit nur für die Mitglieder bürgerlicher Gesellschaften gelten, genau, wie diese Gesellschaft den wirklichen Menschen „erst in der Gestalt des egoistischen Individuums, (…) in der Gestalt des abstrakten citoyen“ 3 erkennt. In den ehemaligen Kolonien fand niemals eine ursprüngliche Akkumulation des Kapitals statt wie in den zivilisierten Ländern, bzw. sie ist dort in ihren Anfangsstadien stecken geblieben. Die Menschen der Dritten Welt können in ihrer großen Masse nicht zu Lohnarbeitern werden, sie sind für die Verwertung des Kapitals überflüssig. So lässt sich die Gleichgültigkeit der Politik Europas gegenüber den barbarischen Verhältnissen in Afrika und anderswo erklären, deren Zusehen beim Menschenschlachten in Ruanda nur auf sehr drastische Weise verdeutlicht, was von ihr alltäglich hingenommen wird: die Befangenheit von Menschen in vorzivilisierten Produktionsverhältnissen, ihre Unfreiheit, die Subsumtion ihrer Persönlichkeit unter ethnische Gruppen, Familienclans und bewaffnete Mörderbanden. Die Menschen der Dritten Welt sind den zivilisierten Staaten objektiv nichts. Wovon sie ihre eigenen Bürger als Menschen emanzipiert sehen wollen: persönliche Herrschaftsverhältnisse, vorbürgerliche Produktionsweisen, Unmündigkeit im Denken und Handeln, das existiert mit ihrem Wissen in den ehemaligen Kolonien fort. Wenn also in den zivilisierten Ländern die Rede vom Elend der Dritten Welt ist und wenn sich europäische Staatsbürger gegen diese Misere ereifern, dann muss neben dem Hunger zuerst auch die Rede davon sein, dass in diesen Ländern kein Schutz des Einzelnen vor dem Terror der Mehrheit besteht, der jeden Versuch eines schönen Lebens im Keim erstickt, dass Kinder nicht vor der Vernutzung durch ihre Eltern oder ihre Herren geschützt werden, dass Frauen als Gebärmaschinen und Sklavinnen behandelt werden. Es muss also die Rede davon sein, dass die erste Voraussetzung für „Gerechtigkeit“ darin besteht, dass die Menschen Mitglieder bürgerlicher Gesellschaft sind, die in den Ländern der Dritten Welt nie durchgesetzt wurde. Nur unter solchen Verhältnissen sind der Schutz des Individuums, die Durchsetzung des Rechtes der Kinder auf Entbindung vom Produktionsprozess und die Gleichberechtigung der Frau möglich. Dies sind die Minimalbedingungen, den produzierten stofflichen Reichtum genießen zu können.
Die Nicht-Existenz der Menschen der Dritten Welt für das Kapital macht sich dort geltend, wo sie die kapitalistischen Staaten mit ihrer Existenz konfrontieren. An den Außengrenzen der EU kann man heute, wenn man will, beobachten, wie die Inferiorität der Menschen Afrikas für die kapitalistische Produktion gewaltsam durchgesetzt wird und Tote fordert. Die westlichen Staatswesen können den „schwarzen Mann“ nur dann als Bürger emanzipieren, wenn er sich für ihre kapitalen Verwertungsprozesse als unentbehrlich erweist, also wenn es ihm aufgrund äußerst glücklicher Umstände gelingt, zum gebildeten Subjekt zu werden. Dies muss aber der Masse der Menschen in der Dritten Welt verwehrt bleiben. Im besten Fall müssen sie um ihrer bloßen Existenz willen unter den schlechtesten Bedingungen arbeiten, was jede Genussfähigkeit und jede Einsicht in die eigenen Verhältnisse und somit auch das Streben nach menschlicher Emanzipation im Keim erstickt. Diejenigen, deren Produktion für den Weltmarkt überflüssig ist, rotten sich in Stämmen und Banden zusammen, die meistens das Volk, welches sie selbst sind, befreien wollen: durch Unterdrückung, Plünderung und Mord der anderen, durch die gewaltsame Aneignung des wenigen, das angeeignet werden kann.
… gerade bei Fairem Handel, …
Der Handel zu Preisen, die mehr als das nackte Überleben der Agrarproduzenten sicherstellen, ist also zu befürworten, weil er marginale Möglichkeiten der Entwicklung eines Bedürfnisses nach Luxus und Genuss darstellt. Nicht zu befürworten sind jedoch diejenigen, die in ihm etwas Gerechtes sehen wollen. Erstens könnte bei vernünftiger, genussorientierter Produktionsweise beim jetzigen Stand der Produktivkräfte in den Zentren weitaus mehr drin sein, als ein lausiges Leben als Kleinbauer. Zweitens bedarf es, damit der Kleinbauer überhaupt das genießen kann, was ihn durch seine Plackerei materiell über sein Umfeld erheben könnte, bürgerlichen Rechtes und bürgerlicher Staatlichkeit, die ihn überhaupt erst zum Eigentümer dieses Ertrages macht und ihn deshalb vor dem Zugriff des Dorfvorstehers oder der bewaffneten Bande schützt.
Nach Marx drückt der Wert einer Ware die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit aus, die zu ihrer Produktion notwendig ist. Das heißt, dass der Wert einer Ware steigt, je mehr Arbeitszeit – gemessen an „den vorhandenen gesellschaftlich normalen Produktionsbedingungen und dem gesellschaftlichen Durchschnittsgrad von Geschick und Intensität der Arbeit“ 4 – für ihre Produktion notwendig ist. Innerhalb entfalteter kapitalistischer Verhältnisse sind die Warenproduzenten durch die Mechanismen der Konkurrenz dazu gezwungen, die zur Herstellung einer Ware notwendige Arbeitszeit möglichst zu verkürzen, um die Ware zu einem geringeren Preis verkaufen zu können als der Konkurrent. Der Wert eines Produktes auf dem Weltmarkt ist durch die geringste zu seiner Produktion notwendigen Masse abstrakter Arbeit gesetzt. Er ist bedingt durch die Produktionsverfahren der entwickeltesten Nationalökonomien, die das Produkt am effektivsten herzustellen in der Lage sind. Um diesen Wert oszillieren die Preise des Weltmarktes.
Der Faire Handel, dessen Partner vornehmlich Kleinbauern sind, entscheidet sich ganz bewusst für einen höheren Preis als den, mit dem auf dem Weltmarkt gehandelt wird. Das heißt, er behandelt die Arbeitszeit, die die Kleinbauern aufwenden, als gesellschaftlich notwendige. Mehr noch, er behandelt diese Produktionsweise so, als ob sie ausgeweitet werden müsste, als ob an ihr irgendetwas Bewahrenswertes sei. Der Faire Handel tritt nicht für eine radikale Rationalisierung der Produktionsweise in der Dritten Welt ein, nicht für die Schaffung von technischen Bedingungen für Verhältnisse, in denen der Mensch nicht mehr leben muss um zu arbeiten, und vor allen Dingen nicht mehr arbeiten muss um zu leben. Im Gegenteil: Er versucht eine Produktionsweise zu befördern, der die Unfreiheit des Menschen so auf der Stirn geschrieben steht, dass jeder, der sie ansieht, sie mit Natur identifiziert. So z. B. schämt sich „e.velop”, die Entwicklungszeitschrift der Bundesregierung, auf ihrer Website keineswegs, dass die Handelspartner ehemalige Tagelöhner sind, die keinerlei Erfahrung in der ländlichen Produktion haben und bei primitivsten Arbeitsmethoden alles selber ausprobieren müssen, die also vegetieren in der Produktion. An dieser Stelle werden selbst die unzureichenden Erfahrungen und die Vereinfachungen der Produktion, welche Errungenschaften der Kolonialzeit und der Niederlassung internationaler Konzerne sind, der Sehnsucht der deutschen Kunden und ihren Händlern nach Naturverhaftung der Produktion preisgegeben. Diese Misere hat laut „e.velop“ natürlich nichts mit Fairem Handel zu tun, sondern damit, dass „in den vergangenen fünfzig Jahren viel traditionelles Wissen verlorenging“ durch die – oh Schreck – „industriell anmutenden Monokulturen“ internationaler Bananen-Konzerne, für deren Export „die Menschen“ arbeiten mussten. 5 Solchem Verlust der Tradition wirkt der Faire Handel entgegen, indem er die Produzenten Afrikas, Lateinamerikas und Asiens auf Entwicklungsstufen zurückwirft, deren Produkt erst die bornierten Traditionen waren. Der Faire Handel ist also fair gerade gegenüber den Verhältnissen, die die Dritte Welt so hässlich und zur Naturhölle der Menschheit machen. Seine Vorliebe gilt nicht den wenigen Inseln industrieller Produktion, also Bedingungen, die vor 500 Jahren in England und Frankreich zur gewaltsamen Entwurzelung der Landbevölkerung führten und sie der despotischen Idiotie ihres Landlebens entrissen, um sie in der Idiotie der industriellen Produktion zugleich mit ihrem menschlichen Elend zu konfrontieren, als ihnen auch die Mittel für die Beseitigung dieses Elends in die Hand zu geben. Es geht ihm nicht um die Emanzipation der Menschen, als deren Mentor er sich ausgibt. Der Faire Handel verabscheut die industrielle Produktion, wie er die Zivilisation verabscheut und seine Kunden sich für die Kultur urwüchsiger Stämme faszinieren. Es geht ihm nicht darum, dass die Afrikaner ein gutes Leben führen können, dessen Maß allein im Luxus der kapitalistischen Zentren gesehen werden kann, sondern darum, dass sie auch zukünftig in Würde vegetieren.
Besonders ernst nimmt dies Bekenntnis zur Tierexistenz des Menschen das erwähnte Entwicklungsmagazin der deutschen Bundesregierung, dort wo von „Vielfalt“ die Rede ist, wenn es um das Leben von Menschen geht, wo man sich für die Annäherung der Agrarproduktion an den Urwald fasziniert und sich freut, wenn Kleinbauernfamilien „neue Pflanzen ausprobieren“. Was hier wohlwollend noch als Verwirklichung regierungsamtlichen Zynismus abgetan werden könnte, ist rund 700 Weltläden und einigen tausend Aktionsgruppen in Deutschland „ein Stück Welt von morgen“. Zu diesen Initiativen kommen noch die Handelskooperativen dazu, die autochthonen Kleinbauern aus rein menschlicher Sympathie einen Ladentisch organisieren, weil die Herzen ihrer Mitglieder und Kunden international für das Elend in der Produktion schlagen. Ihr Tun wird getrieben vom Hass auf alles, was die Bedingungen liefert, unter denen sich der Mensch aus dem Elend befreien könnte. Kurz: auf die Moderne.
… der verächtliche Absichten verfolgt.
Doch dies allein treibt sie nicht um. So sind in der Sommerausgabe des Magazins „Welt&Laden“ Schneiderinnen abgebildet, die unter halbautomatisierten Bedingungen arbeiten, freilich ökologisch und sozial nachhaltig. Dazu heißt es, dass es nicht nur wichtig sei, möglichst wenige Chemikalien bei der Produktion von Baumwolle zu verwenden, sondern auch den „Hauptwertschöpfungsanteil“ und den „Mehrwert“ vollständig im Herstellerland zu belassen. Es geht ihnen also darum, dass der Teil des Mehrwertes, der nicht für den Betrieb der fairen Handelskapitale erforderlich ist, auch wieder in der Produktion landet. Wo in Europa die Arbeit ausgeht und die Zivilisationsfeindschaft noch nicht so weit gediehen ist, dass zur Maschinenstürmerei übergegangen wird, müssen die Fanatiker der Vernutzung des Lebens in der Produktion, die Freunde der Arbeit, auf eine Werkbank, die in Europa überflüssig geworden ist, zurückgreifen. Und diese hässliche, ungestalte, knechtende, urwüchsige Werkbank ist eben die Dritte Welt. Hauptsache, es wird gearbeitet. Wichtig ist nicht, wie es die Freunde des Fairen Handels behaupten, dass es den Menschen der Peripherie gut geht. Denn das hieße ja, dass sie mit Genuss dem Luxus frönen könnten. Nein, diesen Gutmenschen sind Arbeit und Leben ein- und dasselbe. Wichtig ist ihnen, dass der Händler des Genusses entsagt, den er durch den Handel haben könnte. Wichtig ist, sie sagen es selbst, dass Gewinnmaximierung nicht zum Zweck der Produktion wird, weil sie in ihr das Interesse des Menschen sehen, der nach bürgerlichem Glück strebt, obwohl er Kapitalist ist. Die Händler und Kunden des Fairen Handels treibt der Wahn um, dass das Elend seine Ursache im Luxus hat und durch Arbeit gelindert werden kann. Sie ziehen einen perversen Genuss daraus, dass sie Verzicht üben, indem sie den höheren Preis zahlen. Sie kaufen zum höheren Preis, weil sie Verachtung hegen dem gegenüber, der so handelt, als ob sein eigenes individuelles Glück ein vom Elend der Entwicklungsländer getrenntes und letzteres nicht die Folge des ersteren sei. Sie verachten also diejenigen, die das Kapital als Mittel zum Streben nach individuellem Glück missbrauchen, es also zur persönlichen Bereicherung nutzen. Sie möchten gern die Gewinnmacherei beseitigen. Nicht weil sie etwas gegen kapitalistische Mehrwertproduktion hätten, sondern weil sie den Mehrwert vollständig kapitalisiert sehen möchten, weil in ihrem Denken die Gesetzmäßigkeiten des Kapitals so blind und vollständig vorausgesetzt sind, dass ihnen nur noch die menschliche Regung legitim ist, die den Zwecken des kapitalen Verwertungsprozesses zuträglich ist. Die Organisationen des Fairen Handels sind ihnen ideale Unternehmen, deren Protagonisten idealistisch-selbstlos auf jegliche persönliche Bereicherung verzichten und arbeiten, um wieder arbeiten zu können. Dem Kapital nämlich ist es, solange die Produktion läuft, gleichgültig, ob seine Eigentümer, beziehungsweise seine gesellschaftlichen Vertreter sich dadurch, dass sie einen Teil des realisierten Mehrwertes für die persönliche Konsumtion verwenden, ein genussreiches Leben ermöglichen. Zwar bedarf es des Repräsentanten, doch der persönliche Reichtum und die subjektive Möglichkeit, ihn zur Entfaltung der eigenen Persönlichkeit zu verwenden, haben sich als Ausweis dieser Repräsentanz spätestens in der Postmoderne erledigt und gelten heute als Anachronismus. Die fairen Händler und ihre Kunden stehen nicht nur für die Förderung der Ökonomie des Elends in Afrika, Lateinamerika und Südostasien ein. Sie fordern auch das Elend der Ökonomie in den Staaten, in denen sie selbst leben. „Schluss mit der Gewinnmacherei“ blökt die antikapitalistische Seele. In die Sprache der politischen Ökonomie übersetzt heißt dieser Ruf: internationaler Handel mit den kleinen Warenproduzenten, den Kooperativen, den Selbstvernutzern jeglicher Art. Er meint internationale Solidarität der Gutmenschen zum Erhalt des Elends in allen Lebensbereichen und gegen industriell anmutende Bananenkulturen, Vereinfachung der Produktion und alles, was trotz kapitalistischer Verhältnisse Genuss bringen könnte.
Anmerkungen:
1) MEW Bd. 1, Berlin 1983, S. 366.
2) Tina Heinz, Die Verschwörung der Gleichen, in: Bahamas 30, Winter 1999
3) MEW Bd. 1, S. 370.
4) MEW Bd. 23, Berlin 1979, S. 53.
5) http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Magazine/emags/evelop/050/s4-fairerhandel
Definiere bitte „Elend“.
[…] den USA haben umfassende Industriealisierungs- und Technologieschübe (z.B. Elektrifizierung) und Massenproduktionsverfahren (z.B. Fließbandtechnologien im Automobilbau und Schlachthäusern) früher den Anstoß zur […]